Wir leben in einer globalisierten Welt. Jederzeit haben wir Zugriff auf Informationen aus der ganzen Welt. Mit der virtuellen Realität kann man Menschen von überall auf dem Planeten gegenübertreten. Sich an einem computergenerierten Ort zum Gebet zu versammeln, klingt wie eine Utopie. In diesem Beitrag versuche ich den Sinn und Unsinn hinter diesem Ansatz gegenüberzustellen.
Utopie oder Vision? Ein Blick in die virtuelle Welt
Langsam erwache ich aus der Schwärze, um mich herum ist alles blau. Bin ich im Himmel? Der Ladebalken vor mir erinnert mich daran, dass ich mich in einer Computersimulation befinde.
“Sorry guys, you will be send to the overflow room”. Sprich: der virtuelle Kirchensaal ist voll. Für mich und die anderen Gäste wird eine neue Kirche errichtet. Ähnlich wie bei meinem Megachurchbesuch in Atlanta, als wir nur in einer Satelitengemeinde zu Gast waren.
Nach der kurzen Ladezeit stehe ich auf einer großen Wiese. Vor mir ein Bereich aus mehreren Sitzreihen, Sofas und einer Großbildleinwand. Rechts ein kleiner See mit der Aufschrift “Prayer”. Links von mir der “Welcome Desk”.
Begrüßung in der virtuellen Kirche
“Hello Tobi! How are you?”, ich werde direkt mit Namen angesprochen. Woher kennen die meinen…? Ach ja, mein Nutzername steht ja direkt über meinem Kopf. Ich vermeide aber eine längere Konversation, da ich viel zu neugierig bin, was mich erwartet.
Sogleich beginnt auf der Großbildleinwand ein Countdown. 5:00, 4:49, 4:48… Man fängt also nicht um Punkt 20:00 an, sondern 20:05. Geschickt! Also hab ich noch Zeit mich umzuschauen.
Ich nutze die Zeit, um mir die Bibeltexte an den Wänden anzuschauen und die Dekoration auf mich wirken zu lassen. Auch wenn es noch nicht viele Möglichkeiten gibt, hat sich hier jemand sehr viel Mühe gegeben. Die virtuelle Kirche ist kein Gebäude, sondern mehr eine Erlebniswelt mit verschiedenen Stationen.
Dann beginnt der Gottesdienst. Pastor D.J. Soto begrüßt seine Gäste. Jeder ist willkommen. Atheisten, Agnostiker, Moslems, Juden,…jeder wird begrüßt und eingeladen, sofern er Lust hat von Jesus Christus zu hören und anschließend auch zu diskutieren.
Dann ein paar Regeln: Microphone abschalten, um die Predigt nicht zu stören. Die Bühne darf nur vom Pastor betreten werden. Gäste werden gebeten ihre Hand zu heben. Vorsichtig melde ich mich. Die umstehenden Avatare (so nennt man seinen virtuellen Körper) schauen mich an und begrüßen mich durch Winken oder aufsteigende Herzen. Ich fühle mich willkommen im Kreise meiner virtuellen Geschwister.
Lobpreis in Virtual Reality
“Wir beginnen mit etwas Lobpreis”.
Pastor D.J. Soto
Ach du, heilige Sch… Werden jetzt alle unglaublich asynchron in ihre Microphone brüllen? Eine dunkle Vorahnung macht sich breit. Jetzt wird es lächerlich… Aber nein. Die Mikrophone bleiben still. Auf der Großbildleinwand beginnt das Musikvideo eines Lobpreisliedes. Alle umstehenden Avatare heben die Hände, bewegen sich zum Takt der Musik. Mir läuft so etwas wie Gänsehaut über den Rücken. Ich stehe hier zwischen Menschen aus der ganzen Welt. Jeder von ihnen sitzt gerade irgendwo, hat eine Brille auf und befindet sich zusammen mit mir im gemeinsamen Lobpreis. Irgendwie surreal, aber weniger falsch als ich zunächst dachte.
Dann beginnt Paster D.J. Soto mit einem Gebet:
“Lieber Vater, hab dank, dass wir hier alle versammelt sind und du mitten unter uns bist”.
Ich fass mir an die Brille… Er meint es ernst. In meinem Kopf entsteht ein Bild von Jesus mit VR-Brille. Mit einem Grinsen im Gesicht versuche ich mich wieder auf das Gebet zu konzentrieren. Ein wenig neu ist der Gedanke aber schon, Gott auch in den virtuellen Raum einzuladen. Aber schließlich ist er ja überall. Warum sollten wir Gott das Internet absprechen?
Beeindruckend: Die Predigt in VR
Dann beginnt die Predigt. Diesmal geht es um die Ehebrecherin aus Johannes 7,53–8,11. Der Pastor verlässt die Bühne.
“Bitte folgt mir, ich nehme euch jetzt auf die Reise durch die Geschichte”.
Und so geht er allen voran in einen hinteren Teil der virtuellen Gemeindelandschaft.
Dort wurden die Bibeltexte der Predigt in der Luft und an verschiedenen Gegenständen aufgehängt. Der Pastor wandert so von Text zu Text und erzählt die Geschichte von der geplanten Steinigung. Auf dem Fußboden entdecke ich Steine und eine unlesbare Handschrift. Das Deko-Team war fleißig.
Am Ende der Predigt stehen die Leute um die einzelnen Bibeltexte verteilt und unterhalten sich. Manche reden über den Glauben, andere über die Predigt oder woher sie gerade kommen. Um mich herum sind Gäste aus Amerika, Osteuropa und sogar Deutschland. Unterhalten wird sich allerdings auf englisch.
Nachdenklich ziehe ich mir die Brille vom Kopf. Ich sitze wieder auf der Couch. Die Menschen um mich herum sind weg. “Du warst gerade in einer virtuellen Megachurch”, denke ich mir. “Ist das die Zukunft?”.
VR-Church: Wieso?
Zunächst ist die Frage spannend, was denn für diese neue Form von Kirche spricht. So befremdlich das Format vielleicht erscheinen mag, möchte ich einen Blick auf die positive Seite werfen.
Zunächst genießt VR-Church die Vorteile der Digitalisierung. Die virtuelle Kirche skaliert! Neue Mitglieder verursachen keine bzw. kaum Kosten. Bei einer digitalen Erweckung können von jetzt auf gleich hunderte ja sogar tausende neuer Gemeindemitglieder teilhaben. Ein Umbau der Gemeinderäume ist nicht notwendig. Dekoration und die Gestaltung von Predigten durch gigantische Aufbauten verbraucht kein Material. So ergeben sich ganz andere Präsentationsmöglichkeiten. Der Pastor kann Besucher auf die Reise nehmen, Orte zeigen und Videos hautnah erlebbar machen. Durch die Darstellung der Avatare ist man auch von jeglicher Diskriminierung aufgrund von Aussehen oder Behinderungen befreit. Jeder wird nur nach seinem digitalen Auftreten bewertet. Auch wenn dies nicht gern zugegeben wird, haben viele Gemeinden probleme mit Ausgrenzungen. Wer krank ist kann vom Bett aus teilnehmen ohne andere anzustecken. Dennoch muss man auf persönliche Begegnungen nicht verzichten. Die Digitalisierung hilft persönliche Kontakte zu pflegen, Gruppen zu bilden und Menschen mit den gleichen Interessen und Problemen aus der ganzen Welt zu versammeln. Die Teilnahme am Gottesdienst ist von jedem Ort mit Internetanschluss aus möglich.
Dazu kommt eine ganz neue Möglichkeit der Spendensammlung. Bei den VR-Brillen ist meist ein Konto mit Kreditkarte hinterlegt. Der Spendenaufruf kann direkt in die Predigt mit eingebunden werden. Projekte können direkt aus der virtuellen Welt heraus gefördert werden.
Wer Berührungsängste mit dem Thema Glauben hat oder nur reinschnuppern will, bekommt durch eine VR-Kirche einen einfachen Zugang. Die Anonymität hilft, sich langsam an das Thema heranzuwagen.
VR-Church: Wieso nicht?
Natürlich gibt es immer auch eine Kehrseite der Medaille. Bevor wir jetzt alle euphorisch VR-Brillen aufsetzen und uns von der irdischen Welt verabschieden…hier die Nachteile:
Fangen wir beim Internet an. Die räumliche Trennung der Gemeindemitglieder verhindert das direkte persönliche Eingreifen bei der Seelsorge. Einen Auftrag der Gemeinde, der sehr wichtig ist. Wie soll man damit umgehen, wenn sich jemand zurückzieht und die Brille absetzt. Er wird dadurch unerreichbar, obwohl er jetzt gerade gute Worte braucht.
Verbindungsabbrüche sollte auch jeder kennen. Nichts stört die geistliche Stimmung mehr, als wenn die Verbindung zur Predigt abreißt. Noch schlimmer, wenn dies in einem wichtigen Gespräch stattfindet.
Die Anonymität des Internets macht es Störenfrieden auch einfacher, unbeschadet jede Versammlung zu stören. Zwar gibt es im Gegensatz zur realen Welt bessere Möglichkeiten, Störungen zu beheben. Aber die Chance zum konstruktiven Austausch mit einem Störer, wie es in der echten Welt praktiziert wird, ist nicht gegeben.
Einer meiner Top-Kritikpunkte bei der Digitalisierung der Kirche ist die Ablenkung. Einer Person konzentriert zu folgen ist in der heutige Zeit für viele eh schon schwer genug. Selbst die Bibelapps im Gottesdienst haben den Nachteil, dass die ein oder andere Nachricht oder Social-Media-Mitteilung uns vollständig von der eigentlich wichtigen Botschaft ablenkt. In der virtuellen Welt ist das nicht anders. Man beobachtet andere Avatare, spielt mit der Umgebung rum und hat kurzzeitig immer wieder Momente der Ablenkung.
Die Abstraktion des Gottesdienstes in der virtuellen Welt ist sehr hoch, die Avatare sind zwar nett anzusehen, nehmen aber den Menschen ihre Persönlichkeit. Emotionen werden auf einige wenige Emojis heruntergebrochen. Die Möglichkeit in der Gestik eines Menschen zwischen den Zeilen zu lesen, ist quasi nicht gegeben. Dies führt dazu, dass viele Gespräche recht oberflächlich gehalten werden. Menschliche Nähe und Gestik sorgt für Vertrauen. Ein virtueller Raum gibt einem nicht die intime Atmosphäre um tiefe Gespräche über Probleme oder Sorgen zu führen.
Eine Sache, die man vielleicht technisch lösen kann, aber aktuell nicht gelöst ist, ist die Bibelarbeit. Mit der Brille auf dem Kopf hat man keine Möglichkeit in der Bibel mitzulesen, geschweige denn Notizen zu machen.
Als letztes ist der Lobpreis zu nennen. Wer das gemeinsame Singen mit seinen Brüdern und Schwestern genießt, muss aktuell in der virtuellen Welt darauf verzichten. Alleine schon durch die Verzögerungen der unterschiedlichen Internetverbindungen ist ein gemeinsames Singen in absehbarer Zeit nicht möglich. Das Abspielen von guten Lobpreis-Videos kann den eigentlichen Lobpreis nicht ersetzen.
Mein Fazit der Erfahrung “virtuelle Kirche”
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Virtual Reality Kirche mehr ist als eine Spielerei. Die Veranstalter meinen das Format sehr ernst und ich bin echt überrascht, wie viel echte Kirche, echtes Miteinander und echte Predigt dabei herum kommt. Daher stehe ich dem Konzept VR-Church positiv gegenüber. Allerdings sehe ich weniger, dass man dort “echtes Mitglied” wird. Das Zusammensein mit echten Menschen in einem vertrauten Kreis ist einfach zu wichtig. Die Intimität im Austausch mit seinen Geschwistern ist unbezahlbar und zumindest mit heutigen Mitteln nicht digitalisierbar.
Wer jedoch Zugriff auf eine VR-Brille hat, sollte der VR-Church mal eine Chance geben. Es ist ein einmaliges Erlebnis und die Predigt mit der virtuellen Aufbereitung hat auf jeden Fall Eindruck hinterlassen.
Timo
19. Dezember 2018 @ 11:08
Vielen lieben Dank Tobias, für die sehr lebendige Schilderung deines Besuchs in der VR-Church. 🙂 Werde ich auch auf jeden Fall mal machen!
Jutta Sell
13. Januar 2019 @ 14:37
Lieber Tobias, die Möglichkeit, die du auf zeigst, obwohl man krank ist oder aus anderen Gründen verhindert ist, dennoch an einem lebendigen Gottesdienst teilnehmen zu können, sind sehr beeindruckend. Ich staune über die Möglichkeiten, aber es bleibt für mich die Chance, nicht völlig auf einen Gottesdienst verzichten zu müssen. Es geht doch nichts über echte Begegnung mit richtig anfassen können, Hand zum Segnen spürbar auf die Schulter legen und eine herzliche Umarmung. Es war aber sehr interessant, deine Gegenüberstellung zu lesen und lockt einen doch einmal in solch eine VR church hinein zu schauen.
Samuel Kary
8. Juli 2019 @ 18:00
Hi Tobias,
danke für diesen Blogpost. Ich bin ein total OnlineMarketing-Fan und finde die Möglichkeiten des Internets genial!
Ich möchte meine Gedanken zu diesem Thema (VR-Church/CyberChurch) allgemein ausdrücken:
Das Thema muss natürlich biblisch betrachtet werden und hat 3 Hauptaspekte: Das Internet und die Gemeindeversammlung und diese Softwares.
Das Internet selber hat viele Vorteile die man unbedingt nutzen sollte! Besonders als Gemeinde. Jedoch ist es ein “feindliches Gebiet”. Es ist eine eigene Welt/Realität mit eigenem Denkmuster, dass schon Religös ist. Im Internet kannst du alles machen, ohne Verantwortung dafür zu übernehmen. Du kannst jeder sein und deine Persönlichkeit jeder wechseln. Alles ist erlaubt. Der Wahrheitsgehalt von Informationen kann nicht so gut geprüft werden und wird trotzdem von jedem als richtig angenohme (Wikipedia ist ein solches Beispiel). Was ich zu diesem Punkt sagen will: Das Internet ist ein Spielplatz in dem es mehr Böses als Gutes gibt. Die Strukturen des Netzes (zeit und ortunabhängig) verleiten die Menschen zu einer eigenen Denkweise, welche als Lebendenkweise dann in die echte Realität übernohmen wird, aber nicht funktioniert.
Die Gemeinde. In der Bibel steht, dass Christen die Versammlung der Heiligen (anderer wahrer Christen nicht verpassen sollen) das bedeutet diese sollen anwesend sein. Natürlich steht dort nicht “live vor ort in haut und blut”, jedoch ist zu beachten das die letzten 6000 Jahre Menschen sich immer Gesicht zu Gesicht sprechen, wenn es um etwas wichtige geht. Profiverkäufer lassen keine KI von Google für sie telefonieren, weil die wissen, dass Menschen immer von Menschen kaufen. Also für weltliche Zwecke ist der normale Umgang mit Menschen von Vorteil. Wie viel mehr muss man sich dann mit dem Menschen in der realen Welt treffen um klar zu machen, dass die Botschaft von Gott es wert ist.
Die Softwares. Mit diesen CyberChurch-Programmen kann jeder Teilnehmen sich selber aussuchen wie er den Gottesdienst gestalten will. Du kannst auswählen welche Art von Musik beim Lobpreis spielt, wie lange der Worhsip geht. Selber entscheiden mit wem Du sitzt und auch den Prediger selber auswählen. Das ist eine gravierende Fehlentwicklung der Jungen Menschen (welche durch das Internet gefördert wird, wir schon oben erwähnt) da er sich an nichts mehr anstößt und alles nach seine Komfortablen eigenen Gewohnheiten ausgelegt wird. Sich mit Problemen zu beschäftigen, mit Menschen mit denen man eigentlich nicht so klar kommt, wirklich Verantwortung in der Gemeinde im Dienst zu übernehmen, und so weiter… das gibt es im Virtuellen nicht. Dies ist eine Phylosophie/Weltreligion die das Internet neu erschaffen hat. Der Mensch wächst so nicht.
Fazit: In der Bibel steht, dass die Liebe unter den Glaubensgeschwistern ein Zeugniss für Gott ist. Man trifft sich mit Menschen die ganz anders sind (in einer Gemeinde sind oft viele verschiedene Nationen und Millieus vertretten) und man liebt sich. Das ist aus Menschlicher eigener Kraft nicht möglich, sowas zeigt das Gott dort ist.
In der CyberChurch ist keine Liebe notwendig, denn es gibt keine Umstände und keine Menschen die mir nicht passen.
Gott will das nicht für seine Kinder!
Gott will, dass seine Kinder praktische Liebe ausüben und das geht nicht vor dem Bildschirm, sondern muss face2face erledigt werden.
Johannes 13: 35: “Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.” Was Liebe ist hat Jesus am Kreuz gezeigt: Für andere sterben. das ist das Standardchristenleben. ZB stirbt man seinem Ego wenn man sich mit anderen Gemeindemitgliedern trifft und in manchen Punkten nachgeben muss.
Das die Gemeinde Gottes diese VR als Ersatz für das richtige Zusammentreffen benutzt ist nicht nach Gottes Willen. Was nicht mit Gott harmoniert ist Sünde.
Für Menschen die krank sind oder Menschen die ausnahmsweise mal online das anschauen wollen (zb. im Urlaub) ist das eine tolle Idee.
Gottes Segen
Samuel Kary
017642609228
Susanne Lorenz
16. September 2019 @ 19:25
Danke, lieber Tobias, für deine sehr fundierte Darstellung ❣ Interessant❣
Gesegneten Endspurt für die kirchliche Hochzeit am Samstag euch Beiden
?? In Braunschweig?